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Trachtenpracht – Eine Zeitreise (Teil 1)

Posted by on 17. September 2020

Gibt es „die“ Tracht überhaupt und wie sind Trachten entstanden?

Vermutlich fand die bäuerliche Kleidung ihren Ursprung in den Kleiderordnungen der jeweiligen Landesherren. In unserer Gegend machte das Fürstbischöfliche Hochstift Würzburg das größte zusammenhängende Gebiet aus. Während in früherer Zeit die Bauern ein eher unterdrückter und armer Teil der Landesbevölkerung waren, kam der Bauernstand zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu mehr Wohlstand. Die Kleiderordnungen, die jedem Stand vorschrieben, was er tragen durfte, waren nicht mehr in Kraft. Und so entwickelte sich der Wunsch der Bauern sich zu schmücken, edle Stoffe wie Samt und Seide zu verarbeiten und durchaus auch Schnitte und Formen des Adels und des Bürgertums zu übernehmen.

Regionale Eingrenzung

Trachten hatten immer einen regionalen Bezug. In der Regel waren sie nicht auf einzelne Ortschaften beschränkt, sondern in größeren Gebieten annähernd gleich. Dabei gab es aber auch örtliche Besonderheiten. Unsere Region ist das Herzstück des Gebietes der sog. „Schweinfurter Gautracht“ oder auch „Werntaltracht“. Das weiträumige Gebiet reicht von Münnerstadt, Bad Kissingen, Gemünden, Karlstadt, Würzburg, Gerolzhofen bis Schweinfurt. Andere angrenzende Trachtengebiete bilden der Ochsenfurter Gau im Süden oder die Haßberge im Nordosten und die Rhön im Norden. In alten Trachtenbeschreibungen wird unser Trachtengebiet oft auch mit dem Begriff „Geldersheimer Tracht“ überschrieben. Aufgrund der Größe des Trachtengebiets haben sich jedoch heutzutage eher die Begriffe „Werntaltracht“ und „Schweinfurter Gautracht“ durchgesetzt. Im Folgenden beziehen wir uns in der Regel auf die katholisch geprägten Gebiete. In den evangelischen Dörfern Sennfeld und Gochsheim, hat sich die Tracht aufgrund der direkten Zuordnung zum Kaiser („Reichsfreie Dörfer“) anders entwickelt. Dennoch aber gibt es deutliche Parallelen zur katholischen Tracht.

Wer trug die Trachten?

Es gab damals keine Wechselmöglichkeiten. Trachtenträger zu sein bedeutete eine grundsätzliche Entscheidung, an allen Tagen im Jahr zum jeweiligen Anlass die entsprechende Tracht zu tragen. Es gab Trachten für die Arbeit im Stall und auf dem Feld, für den Werktagskirchgang, den Sonntagskirchgang, für hohe Feiertage, für „frömm-naus“ (z.B. für Einkäufe/Erledigungen in der Stadt oder im Nachbarort) usw. Daneben gab es sämtliche Abstufungen auch noch in schwarz für die Trauerzeit und in braunen bzw. lila Tönen für die Übergangszeit nach der Trauer (sog. „Abtrauer“). Tracht trugen im Dorf Bauern und Handwerker, aber auch Knechte und Mägde. Man nannte die Trachtenträger „Baurische“, weil sie die bäuerliche Kleidung trugen. Im Gegensatz dazu gab es auf den Dörfern auch eine geringe Anzahl an „Städtischen“. Das waren meist Beamte, Lehrer, Kaufleute oder manchmal auch Gastwirte. Sie trugen die allgemeine überörtliche Mode und waren optisch nicht dem Trachtengebiet Schweinfurter Gau zuzuordnen.

Epochen

Manche kennen die Tracht vom Hochzeitsbild der Groß- oder Urgroßmutter, das noch im Wohnzimmer in der Ahnengalerie hängt. Diese typischen Hochzeitsbilder aus den 1920er Jahren spiegeln aber nur einen Teil unserer Trachtenkultur und Trachtengeschichte. Man kann die Entwicklung der Tracht in zwei große Epochen einteilen. Dazwischen gab es immer Übergangsformen. Die sog „alte Tracht“ aus der Zeit um 1830 bis 1880 und die sogenannte „neue Tracht“ aus der Zeit um 1900 bis 1940. Die zeitliche Abgrenzung dabei ist fließend. Tracht war niemals statisch und hat sich immer gewandelt. Wirkliche Veränderungen haben aber vieler Jahre bedurft. Meist entwickelten sich Veränderungen in Zeiträumen von 25 Jahren. Sie erfolgten durch anderen Geschmack und durchaus auch durch modische Einflüsse. Die Tracht wurde insbesondere durch die höfische und später durch die bürgerliche Mode beeinflusst. Während die alte Tracht sehr üppig, bunt, prunkvoll und eher barock war, erschien dagegen die neue Tracht eher dezent, mehr Ton-in-Ton und weniger voluminös.

Die alte Tracht um 1800-1880

So gehörte zur alten Festtracht bei den Frauen der Wattrock als Unterrock, eine Art Reifrock, der den darüber folgenden Röcken den ausladenden eleganten Stand gab. Über dem Wattrock wurden mehrere wollene Unterröcke („Kranzröcke“) getragen, hier gab es verschiedene Farben (blau, rot, grün, sogar pink). Diese Röcke waren im unteren Drittel mit Samtapplikationen und Stickereien verziert. Eigentlich schon Kunstwerke für sich – doch es waren nur die Unterröcke. Prachtvoll verziert waren die feuerroten oder braun-roten, fein plissierten Oberröcke. Sie waren mit teuren Seidenborten belegt, meist drei Reihen übereinander. Die Oberröcke hatten einen Umfang von 6 Metern und sind für heutige Dirndl und Trachten sehr lang gewesen. An dieser Stelle sei mal gesagt, dass die optimale Rocklänge bei einer traditionellen Tracht immer derart sein soll, dass man die Höhe eines Maßkruges darunter stellen kann. Kürzer sollten sie auf keinen Fall sein. Die Oberröcke waren nur hinten und an der Seite plissiert, das heißt in kleine Fältchen gebügelt. Vorne unter der Schürze waren sie glatt. Darüber trug man immer eine Schürze. Meist aus feiner Seide, einfarbig oder mit zarten eingewebten Blümchen und Streifen. Sie wurde entweder mit einem dezenten Bindband befestigt oder mit Haken und Ösen verschlossen. Über die Schürze wurde dann ein Zierband gelegt, das vorne eine Schleife andeutete, die aber nur mit Haken und Ösen geschlossen wurde. Diese mit eingewebten Blumenmustern versehenen ca. 7-10 cm breiten Seidenbänder hätten das Binden einer Schleife nicht schadlos überstanden. An ihrem unteren Ende waren sie mit Goldfransen verziert.    

Als Unterkleid trugen die Frauen ein langes weißes Leinenhemd. Meist waren diese im Bereich des Oberkörpers aus einem feineren Stoff gefertigt und von der Taille bis kurz über den Knien aus einem gröberen Leinenstoff. Darüber trug die Bäuerin ein Leibchen[3] (heute sagen wir Mieder dazu). Es hatte über dem Gesäß ein Polster, so dass die Röcke nicht herunterrutschen konnten und auch ab der Taille der Rock nach außen gedrückt wurde. Anders wie bei den heutigen Dirndln ist das Dekolleté durch das hochgeschlossene Leinenhemd bedeckt. Auch die Brust wurde beim Leibchenschnitt nicht betont. Unter der engen Taille quoll die barocke Form der Röcke hervor. Die enge Taille wurde somit besonders hervorgehoben. Über dem Leibchen folgte zur Festtracht der Körres (eng anliegendes Jäckchen mit keulenförmigen Ärmeln). Der vordere Teil des Leibs beim Körres, aber auch bei den zur Tanztracht getragenen Leibchen, war mit breiten und aufwendigen Goldborten und -spitzen sowie mit meist 8 zweireihig angebrachten Filigransilberknöpfen verziert. Darüber das „Schabbo“ ein weißer Spitzenkragen und darauf das seidene Tuch mit dem sog. „geflammten“ Muster. Dieses wurde über der Brust gekreuzt und im Nacken geschlungen, so dass die beiden Enden hinten herabhingen. Als Kopfbedeckung trug die Frau entweder den goldenen Flitterkranz zur Hochzeit oder an sonstigen Feiertagen die Bänderhaube mit den schwarzen Moireebändern, die meist bis über das Gesäß herabhingen und den ganzen Rücken der Frau bedeckten. Das einigen als Trachtenschmuck bekannte goldene Kreuz gab es zu dieser Tracht noch nicht. Hier wurde ein gefasster Patrona-Bavariae-Taler an einer silbernen Erbskette getragen oder gar eine Bernsteinkette. Manche Frauen trugen auch eine Kropfkette aus feinen Glasperlen. Das Tuch wurde vorne mit einer silbernen Filigran-Brosche gehalten. Die Hände wurden mit aus feinem Garn gestrickten Perlen-Halbhandschuhen verziert. Nur der Daumen war einzeln angestrickt. Diese Handschuhe nennt man „Stäucherli“. Da vorne die Finger herausschauen, kann man auf einigen alten Fotografien sehen, dass reiche Bäuerinnen nahezu an jedem Finger einen Ring trugen.

Zur alten Tracht wurden weiße Baumwollstrümpfe und schwarze Lederschuhe getragen. Die Strümpfe waren mit aufwendigen Zopf- und Lochmustern aus feinem weißen Garn gestrickt. Neben schwarzen Lederschuhen trugen die Frauen auch die ganz flachen „Schleicherli“ oder auch mit buntem Blumenmuster bestickte Straminschuhe.

Bei der beschriebenen Tracht handelt es sich um die Festtracht bzw. Tanztracht. Über die Arbeitstracht aus dieser Zeit kann man nur noch wenig sagen, weil hierzu kaum alte Trachtenstücke überliefert wurden.

In den nächsten Ausgaben informieren wir Sie über die Männertrachten aus der Zeit um 1850, die weitere Entwicklung der lebendigen Tracht zur sog. „neuen Tracht“ um 1920 und bis zu ihrem vermeintlichen Aussterben im Jahr 2000.

Oliver Brust

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